Ab hier wird es schweinisch
Ab hier wird es schweinisch, Bianca selbst benutzt dieses Wort (schweinisch und später auch Schweinkram), als sie ihrem Bruder erklärt aus schweinischen Pornofilmen liesse sich nichts lernen. Obwohl sie anfangs diese Filme, scheußlich findet, wird sie später selbst welche ausleihen und sie sich immer auch ansehen, allerdings schläft sie dabei auch schon mal ein. Überhaupt scheint sich die Welt der Geschwister ums Fernsehen zu drehen, sie konsumieren alles was läuft. Bolaño erzählt vom Ausleihen der Pornos, als wäre es das Normalste der Welt, vergessen wir aber nicht, die beiden sind minderjährige, unschuldige Schüler; ist es ein schweinisches Rom, in dem sich Kinder in Videotheken Erwachsenenfilme ausleihen können? Bianca erzählt, dass sie morgens, wenn andere in ihrem Alter zur Schule gehen, oder stehlen, Drogen konsumieren, oder sich prostituieren, die Videotheken abklappern. Ist es eine schweinische Welt, in der heutzutage die Kinder groß werden? Aber sie ahmen doch nur die Erwachsenen nach, sie fühlen sich dadurch erwachsen, sie bestimmen selbst was sie tun und was nicht, jetzt wo sie auf sich selbst gestellt sind. Ist der Schauplatz Rom nicht mit Bedacht gewählt, als Symbol für Verfall und Dekadenz? Wenn keine ordnend eingreifende Macht (hier die Eltern) mehr da ist, beginnt der Niedergang (zum Lumpen?) Viele Philosophen haben sich mit der Dekadenz und damit dem Verfall von Rom beschäftigt, unter anderem Montesquieu in seinem Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence und Edward Gibbon in The History of the Decline and Fall of the Roman Empire.
Biancas Traum mit dem Papagei ist symbolisch behaftet, der Papagei als Symbol für Sexualität und gleichzeitig für die Unreife, Oberflächlichkeit und Unselbständigkeit, als Mahner nicht alles kritiklos nachzuahmen. Was wird aus Jugendlichen, die das Erwachen ihrer Sexualität (der Bruder beschäftigt sich intensiv mit der Formung seines Körpers, er betreibt Bodybuilding und präsentiert die ersten Ergebnisse rituell seiner Schwester) mit der derben Gefühlslosigkeit der Pornos konfrontiert sehen? Es ist unmöglich aus diesen Filmen den Umgang mit seinen Mitmenschen, die Gefühle für sie zu erlernen, also wirde der Bruder auch nicht lernen wie man Liebe macht. Porno und Liebe sind sich widersprüchlich, werden von falsch geleiteten Menschen aber oft verwechselt.
2 Responses to “Ab hier wird es schweinisch”
„Obwohl sie anfangs diese Filme, scheußlich findet, wird sie später selbst welche ausleihen und sie sich immer auch ansehen, allerdings schläft sie dabei auch schon mal ein.“ –
Hier nur eine kleine Anmerkung: damit es ganz unmissverständlich wird. Für sich selber leiht sich Bianca niemals Pornofilme aus, allenfalls für ihren Bruder (S.19). Sie selber leiht sich außer den von ihr gemiedenen Pornofilmen in voller Bandbreite eine ganze Vielfalt anderer Filme aus: „mir gefielen Liebesfilme (die mich fast immer zum Lachen brachten) klassische Horrorfilme, Splatterfilme, Psychothriller, Krimithriller, Kriegsthriller“ und sieht sich selber in Variation des Schweine-Motivs als „eine Allesfresserin“. (S.20)
Und wir finden die oft behauptete Männlich-weiblich-Unterscheidung bzw. Frau-Mann-Differenz im bevorzugten Medienkonsum hier wieder?
Interessant ist vielleicht auch noch, dass der seinerzeit in Argentinien im Exil lebende, bedeutende polnische Autor Witold Gombrowicz für einen seiner Romane (nicht unpolemisch) den Titel „Pornographie“ gewählt hat. (Vgl. dazu inzwischen auch den gleichnamigen Film.)