Auxilios Gang in die Berge
Auxilio schlägt sich die Nächte mit den jungen Poeten um die Ohren und erschöpft und entleert ihren Geist. Eine große Zerbrechlichkeit bemächtigt sich ihrer Seele und sie verliert jegliche Neugier. Von da an wird Schlafen eines ihrer Laster. (Immer wieder flüchtet sie in eine geträumte Gegenwart.) Und dann vernimmt sie die Stimme des Schutzengels der Träume, die von Auxilio, die immer noch auf dem Frauenklo der Fakultät sitzt, Prophezeiungen hören will. Auxilio prophezeit Arten von Reinkarnationen (S. 143), Wiederverkörperungen von 33 Dichtern und ihren Werken. Dabei gibt sie auch Jahreszahlen von 2003 bis 2171 an. Eine bestimmte Reihenfolge der Jahreszahlen oder gar Ordnung kann ich zumindest auf den ersten Blick nicht erkennen. Es ist, wie mir scheint, eine ganz eigene Nicht-Geschichte der Literatur des 21. Jahrhunderts von Auxilio. (Dabei fällt mir natürlich ein, dass die Zahl 2666, die in „Amuleto“ auf Seite 78 vorkommt, auch so eine Art Prophezeiung von Auxilio angibt. Die Avenida Guerrero ähnelt in den frühen Morgenstunden einem Friedhof, wie er im Jahre 2666 aussehen könnte.)
Nachdem Auxilio ihre Nicht-geschichte der Literatur prophezeit hat, kommt es ihr in ihrem Traum vor, als hätte sie das Klo in der Universität verlassen und befinde sich jetzt in den eisigen Regionen des Popocatepetl bzw. Ixtaccihuatl. Die Stimme schlägt ihr vor, sich von diesem vereisten Ort zu verziehen. Auxilio meint, dafür müsse man ja Bergsteiger (S. 144) sein. Auxilio und die Stimme bewegen sich über das Eis, können ihm aber nicht so recht entkommen. Die Stimme erinnert das Szenario an ein Bild von Caspar David Friedrich. Die Stimme mahnt, dass sie sich retten müssten, Auxilio gewöhnt sich an die Kälte und ihr ist, als kehrten sie „heim in Dr. Atls ‚Landschaft im gleißenden Licht’“ (S. 145). Und dann, „nach einer weiteren, monate- oder jahrelangen Stille“ (S. 145) erinnert die Stimme Auxilio an jenen Flugzeugabsturz in den Anden, bei dem die Überlebenden „sich vom Fleisch der beim Absturz Umgekommenen ernährt“ (S. 145) hatten.
Die Stimme redet dann noch von einem Roman von Cortazar, dem, „wo die Hauptfigur träumt, sie säße im Kino und jemand käme und weckte sie auf.“ (S. 146) Welcher Roman ist das? Auxilio hingegen sagt, ihr Problem sei nicht aufzuwachen, sonder wieder einschlafen zu können. Auxilio träumt also, sie könne im Traum nicht wieder einschlafen. Auxilio kann also im Traum nicht träumen. Was bedeutet das? Gelingt ihr gewissermaßen die Nagation der Negation nicht? Kann sie das Träumen nicht aufheben?
Und dann verabschiedet sich die Stimme von Auxilio. Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? Auxilio fühlt sich auf den verschneiten Höhen: „als verwandelte mich die Kälte, während ich mir langsam das Leben nahm und schlief, in eine Art Yeti“ (S. 148) Nicht die Kälte nimmt ihr das Leben, sondern sie nimmt sich das Leben! (Ist das auch kein Fehler des Übersetzers?) Heißt Sterben das Träumen aufheben?
Auxilio versucht in dieser Situation „einzig und allein eine einzige Frage zu formulieren (…), ohne Sinn, hohl: Warum? Warum?“ (S. 148) Ludwig Wittgenstein und Gottfried Benn haben zu dieser Frage gesagt, es sei eine Kinderfrage und man müsse auf eben diese Frage verzichten. (Was Wittgenstein angeht, weiß ich die Stelle nicht mehr genau. Aber es geht auch der Paragraph 471 in seinen Philosophischen Untersuchungen. Was Benn angeht lese man das Gedicht Nur zwei Dinge.)
Inzwischen fühlt sich Auxilio, als sei sie im Himalaya (S. 148), das Gebirge mit dem höchsten Berg der Welt. Sie ist bereit zu sterben. Aber tropfendes Eiswasser hinter sie daran. Sie findet sich wieder auf dem Fussboden des Klos in der Universität.
Das alles ist sehr merkwürdig. Mit erschöpftem und entleertem Geist verlässt Auxilio die Menschen und geht in die Berge (Himalaya). Dort stellt sie oder versucht sie zu stellen eine einzige Frage: Warum? Diese Frage erscheint ihr aber ohnehin sinnlos und hohl. Auf diese Frage zu verzichten, ist doch das Eingeständnis des Verlust des Glaubens an die Geschichte, an eine notwendige Kausalität in ihrem Ablauf. Auxilio stirbt aber nicht. Das 14. Kapitel beginnt mit den Worten: „Da beschloß ich, von den Bergen herabzusteigen. Nicht auf dem Frauenklo zu verhungern. (…) Ich beschloß, die Wahrheit zu sagen, und wenn sie auch mit Fingern auf mich zeigten.“ (S 150) Es ist, als würde Auxilio erfrischt und mit gefülltem Geist, gefüllt mit der Wahrheit über die Geschichte und über die damit zusammenhängende Frage „Warum?“, wieder von den Bergen zu den Menschen (Poeten) hinabsteigen. Das hat mich natürlich an den Anfang von Nietzsches Zarathustra erinnert. Es lohnt sich in diesem Zusammenhang diesen Anfang nachzulesen.
13 Responses to “Auxilios Gang in die Berge”
Ich weiß schon, warum ich das Buch auf Englisch lese: „…as if the cold, while numbing and killing me, were simultaneously turning me into a kind of yeti…“ (S. 166 des New Direction Paperback, übersetzt von Chris Andrews).
Und im spanischen Original heißt die Stelle: „como si el frío, mientras me mataba y me dormía, al mismo tiempo me estuviera convirtiendo en una especie de yeti“. Die fraglichen Verben stehen also in der 3. Person Singular.
Nur zur Erinnerung: Sokrates sah den Ort, zudem den unabdingbar dialogischen Ort, des Philosophierens laut Platon entschieden in der Polis; der Natur, die ihm nichts sage, ihn nichts lehren könne, wand er entschieden den Rücken zu. Ebenso entschieden lässt Nietzsche später seinen Zarathustra an der Stadt vorbeigehen, fern von den Menschen der Stadt in die Natur, die Gebirgsnatur gehen.
An Zarathustra hab ich zwar auch gedacht, aber indestens ebensosehr an Dostojewskijs „Traum eines lächerlichen Menschen“. (Dies könnte ich weiter ausführen, auch mit Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede dort bei FMD zum Höhlengleichnis Platons.)
Auch Wittgenstein und Benn in allen Ehren, aber Heines Gedicht „Fragen“ darf hier vielleicht auch nicht fehlen; und wohl auch nicht A. Schopenhauers philosophische Absage an das Kausalitätsprinzip und dessen usurpatorische Alleinherrschaft.
„wandte“ nicht „wand“ sollte es natürlich heißen; ab und zu werden gegen meinen Willen Buchstaben verschluckt. Pardon.
Ich will Herrn von Berenberg ja nicht zu nahe treten, aber da muss wohl noch mal Christian Hansen ran. Ob nun die Kälte mich tötet oder ich mich selbst umbringe, ist einfach ein zu großer Unterschied.
Lieber Günter,
es ist schon so, wie du schreibst: Man kann an so vieles denken. Aber nicht an alles, wie ich meine. Und dann kommt es ja auch noch darauf an, wie man an die Sachen denkt. Als ich mich an Zarathustra erinnert fühlte, ging es mir nur um dieses gleiche Bild: Da steigt einer/eine aus dem Gebirge herab, um von seiner Fülle der Wahrheit abzugeben. Also Dostojewskij in allen Eheren und Platon sowieso. (Übrigens: Das Höhlengleichnis von Platon kommt in „2666“ auf den Seite 155ff. in wunderbar abgewandelter Form vor.)
Und was nun Benn und Wittgenstein angeht, sie haben beide etwa zu gleicher Zeit (1947/1953) – also ein Dichter und ein Philosoph – diesen Verzicht auf die Frage „Warum?“ formuliert. Das ist ca. ein halbes Jahrhundert vor Bolano. Insofern könnte man sie mit Verlaub und allen Einschränkungen als seine ‚geistigen Väter‘ in dieser Sache bezeichnen. Dass Heine und Schopenhauer auch in eine Linie dieses gedankens gehören ist wohl so. Aber vielleicht eher als Großväter. Oder?
Das Problem ist natürlich auch, dass wir hier schlecht wissenschaftliche Abhandlungen schreiben können. Das würden dann zu lange Texte. Manchmal begnüge ich mich dann mit Anregungen und lasse und will mit ihnen keinen Dichtern und Denkern die Ehre streitig machen, Gleiches zum Ausdruck gebracht zu haben. Mir geht es um Bolano und um den Versuch mich an seinen Gedanken, der in seiner Dichtung seinen Ausdruck gefunden hat, heranzutasten.
Mir geht es doch auch in erster Linie um RB, lieber Andreas.
Eben deswegen sehe ich aber auch die gewichtige Parallelität der Zeitgenossen (!) Nietzsche und Dostojewskij, wenn du schon – zu Recht! hab ich was anderes gesagt? – Nietzsches Zarathustra erwähnst. Der „lächerliche Mensch“ glaubt (auch für sich selber überraschenderweise) im Traum nach seinem vermeintlichen Ableben „die Wahrheit“ gesehen zu haben,( die Wahrheit gerade auch über die Geschichte der Menschheit!), und nach diesem Traum kehrt er ins Leben (er wollte sich eigentlich umbringen) und ins Wache zurück, um die anderen, auch wenn sie ihn deswegen erst recht lächerlich finden, an der „Wahrheit“ teilhaben zu lassen, ähnlich wie der zur Wahrheit, zur Sonne befreite Höhlengleichnismensch bei Platon um der Wahrheitsmethexis aller anderen willen herabsteigt – und auch Zarathustra vom Berg; ihn, den lächerlichen Menschen und bisherigen lebensgleichgültigen Nihilisten hatte sein Traum sogar in die Weiten des Weltalls geführt, ehe er herabsteigt unter die vorher missachteten Menschen.
(Dass auch ich die Höhlengleichnisvariante RBs in „2666“ bemerkt habe, habe ich doch an Ort und Stelle sogleich vermerkt.)
Und was die Frage der Väter und Großväter angeht, ich weiß nicht. 1961/1962 schrieb Max Horkheimer einen Aufsatz „Die Aktualität (!) Schopenhauers“ und 1967 nannte Theodor W. Adorno Samuel Beckett (zu Recht auch mit Blick auf das Stück „Warten auf Godot“) einen potenzierten Schopenhauer. Und wie oft kommt nicht auch Heine bei RB vor?! In „2666“, aber auch in „Amuleto“ selber als einer der wenigen Weltautoren ohne fixierende Jahreszahl (S.143).
Außerdem: Welche Bedeutung hatte nicht Heinrich Heine als bevorzugte Bezugsperson nicht nur der deutschen Exilautoren nach 1933 und darüberhinaus?
Jeder denkt wohl zunächst an das ihm selber Naheliegendste. Nur durch das einander wechselseitig hilfreich ergänzende, manchmal korrigierende Gespräch lassen sich falsche Verabsolutierungen vermeiden.
Philosophiedebatten in allen Ehren, aber bei „Amuleto“ handelt es sich nicht um einen Ausflug in die Philosophiegeschichte. Wir können natürlich auch ein Hauptseminar abhalten mit dem Titel “ Platon, Schopenhauer, Nietzsche, Wittgenstein und die Frage nach dem „Warum?“ im Denken Roberto Bolaños unter besonderer Berücksichtigung des Absurditätsgedankens bei Beckett“.
Habe nun, ach! Philosophie, // Juristerei und Medizin, // Und leider auch Theologie! // Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. // Da steh ich nun, ich armer Tor! // Und bin so klug als wie zuvor.
Erstens: Lieber Günter, ich stimme völlig mit dir überein, auch mit deiner Schlussbermerkung deines letzten Kommentars. Das eine oder andere können wir sicher an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit ausweiten und vertiefen. Danke für deinen konstruktiven Kommentar!
Zweitens: Diesen Kommentar, lieber Dietmar, finde ich völlig daneben und überflüssig. Niemand führt hier eine Philosophiedebatte. Und wenn, dann wüsste ich nicht, dass eine solche nur bei einem Ausflug in die Philosophiegeschichte geführt werden dürfte. „Amuleto“ ist ein Stück Literatur, Dichtung. Zu dem seit alters her gegebenen und diskutierten Zusammenhang zwischen Philosophie und Dichtung erspare ich mir entsprechende Hinweise. Diesen Zusammenhang kannte übrigens auch Bolano. Er hat ihn genutzt, er war ein sehr gebildeter, belesener Mensch.
(Deinen Vorschlag, hier ein Hauptseminar zu diesem Thema abzuhalten, muss ich nicht zuletzt aus Zeitgründen ablehnen. Aber, wenn du möchtest, schicke ich dir gerne, sozusagen privat, ein paar erläuternde Hinweise aus meinem Unterricht. Neben Leser bin ich auch Lehrer für Deutsch und Philosophie.)
Und was nun Faust angeht, den quält ja die Frage, was die Welt im Innertsen zusammenhält. Uns zur Zeit wohl eher die, was „Amuleto“ zusammenhält. Sollten wir darauf keine Antwort finden, wird uns sicher nicht die gleiche Verzweiflung quälen wie Faust. Daher meine ich, dass du uns hier ein wenig zu viel der Ehre antust, also etwas sehr daneben gegriffen hast.
Lieber Herr Hillebrandt,
was für ein Glück, dass Nietzsche auch Lyriker gewesen ist und noch nicht einmal ein schlechter. Auch sein „Zarathustra“ ist kaum weniger Dichtung als Philosophie.
Und Dostojewskij hat zwar große Romane geschrieben, wird aber des öfteren – nicht nur in R. Lauths Buch „Die Philosophie Dostojewskijs“ (und das völlig zu Recht) gerade wegen dieser Romane als bedeutender Philosoph angesprochen. (Nebenbei: Platon-Lektüre und die des NT waren sein täglicher Umgang. Er kannte aber auch Balzac, Dickens und Eugène Sue. Las auch täglich Zeitung.)
Und Platon, der Philosophisches durchgängig nur in der literarischen Form des Dialogs verfasst hat, lässt in seinem „Symposion“ (= Das Gastmahl bzw. Das Gelage), in seinem Gespräch über den Eros, u. a. den Tragödiendichter Agathon und den Komödiendichter Aristophanes argumentierend bzw. recht frisch Mythen erzählend auftreten.
Und Schopenhauer und Nietzsche sind DIE Philosophen für Künstler gewesen und bis heute geblieben, auch weil sie, wie nur wenige, schreiben konnten: So unterschiedliche Autoren wie Wilhelm Raabe, Wilhelm Busch, Ferdinand von Saar, Leo Tolstoi, Italo Svevo, Hugo von Hofmannsthal, Samuel Beckett, Thomas Mann, Franz Kafka, Friedrich Nietzsche, Kurt Tucholsky, Sigmund Freud sind durch die Schule Schopenhauers gegangen, allein dadurch, dass sie ihn intensiv und sehr gerne lasen. Und die Musiker, Maler etc. …
Und bei Nietzsche war der Einfluss auf andere (auch im Ausland) kaum weniger gering: auf Kafka, Heinrich und Thomas Mann … und und und
Wenn man sich mit der Literatur des 19., 20. und 21. Jahrhunderts befasst, beraubt man sich selber, wenn man auf die minimale Kenntnis von Schopenhauer und Nietzsche durch eigene Lektüre verzichtet.
Um 1800 war es in Deutschland und Frankreich ähnlich: Der große Philosoph Diderot im 18. Jh. war zugleich auch ein innovativer großer Schriftsteller. (Vgl. z. B. Diderots formal auch heute noch modernen Roman „Jakob, der Fatalist, und sein Herr“). Sein literarischer Dialog „Rameaus Neffe“ war in Frankreich verboten, dann verschollen; Goethe in Deutschland geriet auf Umwegen ans französische Original, übersetzte es ins Deutsche; in Frankreich wurde später diese Übersetzung Goethes ins Französische rückübersetzt, ehe der Originaltext Diderots in Frankreich wieder selber auftauchte, lange nach dessen Tod.
In Deutschland schrieb Hölderlin vor 1800, als er, Hölderlin, gerade in Jena lebte, an seine (Hölderlins) Familie: „Fichte ist jetzt die Seele von Jena.“ Auch die Frühromantiker Friedrich Schlegel und Novalis schätzten den Philosophen Fichte, dessen Frühwerk zuvor anonym erschien und mit Kant verwechselt wurde, besonders hoch. Ein berühmtes Fragment Friedrich Schlegels benannte als „die wichtigsten Tendenzen des Zeitalters“ das Folgende: „die französische Revolution“, die „Wissenschaftslehre“ (Fichtes) und Goethes Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“.
Völlig zu Recht hatte man damals noch die Dinge zusammengesehen.
Und so war gerade der „Faust“ Goethes im gesamten 19. Jahrhundert immer wieder Gegenstand philosophischer Vorlesungen an den Universitäten. (Vgl. Kuno Fischer und Konsorten)
UM ABER ZU Bolaño ZURÜCKZUKOMMEN, der zumindest in seinem Roman „2666“ einen Philosophieprofessor (Amalfitano) recht maßgeblich vorkommen lässt, und mit Blick auf die bedeutende lateinamerikanische Romanliteratur insgesamt
möchte ich jetzt doch noch ein bisschen mehr provozieren,
mit folgender These nämlich:
In dem Maße, in dem es in Lateinamerika selber kaum eigenständige große Philosophie gibt (wie seit einiger Zeit vielleicht auch in Europa nicht mehr),
fallen die unentbehrlichen Themen der entbehrten oder abhanden gekommenen Philosophie den Romanciers von Bedeutung zu, die die Fähigkeit haben, so zu erzählen, dass jede und jeder etwas davon hat, auch die, die gar nicht merken wollen, dass es sich dabei oft auch um große Romane von philosophischer Bedeutung handelt.
Auch in ihnen geht es thematisch um nichts weniger als das Ganze.
Pädagogische Philosophen ermüden mich. Als ob sie mir erklären müßten, dass Bolaño etwas mit Philosophie zu tun hat. Sie kommen mir vor, wie zwei Lehrer mit erhobenem Zeigefinger, nur weil ich zu äußern gewagt habe, dass man nicht jeden zitierten oder genannten oder auch nur gespürten philosophischen Zusammenhang Bolaños gebildet dauerdiskutieren muss. Lehrer scheinen sich bei der leisesten Kritik gleich angegriffen zu fühlen. Das mit dem Hauptseminar war doch nun mehr als deutlich ironisch gemeint, aber dozieren sie weiter über Philosophie, ich ziehe das Schweigen jetzt vor.
Richtig!
(arglos, ganz unpädagogisch und mit Sicherheit unempfindlich geäußert)
Will sagen:
Die fremden philosophischen Texte sind nicht das Wesentliche an Bolaño, aber sie gehören wesentlich zu seinem intertextuellen Verfahren. Alle fremden von ihm zitierten Texte und Bezüge – auch die nichtphilosophischen – werden gesehen und herangeführt von den von ihm selbst geschaffenen Szenen aus und an sie heran. Was dadurch entsteht ist etwas Neues.
Bolaños Intertextualität (schreckliches Wort, ich weiß) findet sich zurecht in vielen sehr verschiedenartigen Bereichen. So habe ich mich insgeheim gewundert, warum ein sehr naheliegender Zusammenhang einer auffälligen Stelle in „Amuleto“ (S.96) mit Guiseppe Arcimboldo nicht schon längst bemerkt worden ist. Aber man muss ja nicht alles sagen.
Das noch zum letzten Kommentar von D. Hillebrandt
Natürlich ist es Ihr gutes Recht solche gebildeten Dauerdiskussionen, so nennen Sie es ja, über philosophisch-literarische Zusammenhänge ermüdened zu finden. (Diese Kritik zu äußern und dann auch noch so, wie Sie es hier tun, ist aus meiner Sicht aber keinesfalls, wie Sie auch schreiben, ein Wagnis. Sie hat für mich eher etwas vom Gegenteil. Das nur nebenbei.) Dass mit dem Hauptseminar soll, wie Sie pädagogisch erläuternd schreiben, Ironie gewesen sein. Diese angebliche Ironie wertet aber in unangemssener Art und Weise Beiträge hier der Form und auch dem Inhalt nach ab. Sie ist Polemik, die unser Bemühen um die Sache nicht wirklich achtet, die sich weg von der Sache auf die Person richtet und die mit einer gewissen ‚Gewalt’ vorgibt, zu wissen, worum es hier in den Diskussionen über Bolano zu gehen hat und welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Das ist keine, wie Sie schreiben, leiseste Kritik. Sie ist unangenehm laut und hat mich geärgert.
Ihrer vermeintlichen Ironie bin ich meinerseits mit einer solchen, vielleicht zu sehr versteckten begegnet. Sie nennen das Pädagogik mit erhobenem Zeigefinger und typisch für Lehrer. Sie bedienen sich hier bewusst polemisch eines Klischees, das jedem Lehrer seit langem hinlänglich bekannt ist und das ich – mit Verlaub – einfach dumm finde. Ein solches Kommentieren ist aus meiner Sicht unsachlich, unangemssen persönlich und missachtet den Beruf des Lehrers. Das ärgert mich.
Aber am meisten ärgert mich, weil es letztlich auch meine Anstrengung und mein Niveau zu sehr unterschätzt, dass zumindest Ihre vermeintliche Kritik die Sache, um die es in den Beiträgen ja nicht nur mir ging und geht, scheinbar so gänzlich ignoriert. Ich hoffe, Sie halten es – leicht ironisch gemeint, der Ärger ist ja schon verflogen – in diesem Sinne nicht mit Wittgenstein: „ (…) und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“
Beste Grüße,
A. Gierth