Ein Gespräch mit Carlos Busqued

Cetarti versinkt im Nichts. Ohne Arbeit und Plan verbringt er seine Tage kiffend vor dem Fernseher und schaut mit Vorliebe Tierfilme über kannibalische Riesenkraken und militärhistorische Dokumentationen im Discovery Channel. Der Anruf eines Unbekannten reißt ihn jäh aus seiner Lethargie. Seine Mutter und sein Bruder seien erschossen worden, er solle sich um die Leichen kümmern. Eher unwillig und mit genügend Dope in der Tasche macht er sich in das abgelegene Provinzdorf im Chaco auf. Lapachito ist ein finsterer Ort, wo die Häuser immer tiefer im Schlamm versinken und eine grelle, furchterregende Sonne die Menschen in den Wahnsinn treibt. Für Cetarti – und den Leser – beginnt ein halluzinogener Horrortrip in eine surreale Welt, in der es von giftigen Insekten wimmelt und die Menschen sich wie Raubtiere verhalten. Entführungen, Erpressungen und Erniedrigungen sind hier so selbstverständlich wie das Basteln an Modellen von Langstreckenbombern, Fastfood und Kabelfernsehen.
So lautet die Ankündigung des Kunstmann Verlags zu Carlos Busqueds Debutroman „Unter dieser Furcht Erregenden Sonne“. Was der Verlag verschweigt: Es gibt nicht einen „schönen“ Satz in diesem Roman. Keine Elendsromantik, keine Kompromisse. Eine eigentlich banale Mischung aus Ekel und Faszination zieht einen durch die knapp 200 Seiten, der Leser treibt machtlos im Erdbebenschlamm, der mehr als kargen Landschaft. Doch das Buch endet nicht nach seinen 200 Seiten. Ganz im Gegenteil. Über Tage verfolgen einen die Bilder und die bedrückende Stimmung durch den Alltag, bis man es wieder in der Hand hält. Genauso fasziniert, genauso ratlos.
Im Gespräch mit Wilde-Leser.de erzählt er von seinen Radioprogrammen, seinen Motiven und seiner Definition von Schönheit.
Du bist Produzent einiger Radioprogramme!
Ja, ein Programm zum Beispiel, das ich viele Jahre lang gemacht habe, nannte sich “Vidas Ejemplares” (Vorbildliche Leben). In dem Format ging es um die Lebensgeschichten von Serienmördern, Paranoiden, sozial ausgegrenzte und allgemeine kranke Personen. Später machte ich eine Reihe von Programmen, die unterschiedliche Namen hatten (z.B. “El Otono en Pekin, Prisionero del Planeta Infierno und weitere) aber immer das gleiche Format hatten: Eine Mischung aus Literaturtexten, Fälle aus der psychiatrischen Anstalt und verschiedenem Schund. Die Texte wurden entweder live vorgelesen oder mit Text-to-speech Software vorgetragen, dazu kamen Aufnahmen von Gesprächen mit Freunden oder Unbekannten.
Die Musik in all meinen Programmen wählte ich aus einem breiten Spektrum aus, zum Beispiel Frank Zappa, Sun Ra y Art Ensemble of Chicago, andere Bands wie die Pet Shop Boys, Fun Lovin Kriminals oder elektronische Chill-out Musik.
Was war deiner Meinung nach die beste Show, die du produziert hast?
Besonders gut gefiel mir eine Sendung, die sich in fünf Teilen mit japanischer Kultur auseinandersetzte. Die ersten drei Teile waren eine Einleitung in Teile der Kultur des mittelalterlichen und modernen Japans, eine Mischung aus Verehrung für die Schneiden der Samurai-Schwerter und dem Kamikaze-Syndrom mit extremer Pornografie und japanischem Pop. Die letzten beiden Teile beschäftigten sich mit Yukio Mishima, einer äußerst interessanten Persönlichkeit und einer Mischung aus all den oben genannten Themen. Diese Teile unterlegte ich mit Musik von Pizzicato Five, Ciao Matto, Shonen Knife und dem Kronos Quartett.
Wenn du die Chance hättest, eine zehnminütige Radioshow zu konzipieren, bei der die ganze Welt zuhören müsste, wie würde die aussehen?
Ich veröffentliche einen Podcast mit etwa zehnminütigen Beiträgen (borderlinecarlito.podomatic.com). In letzter Zeit habe ich zwar keine neuen Beiträge veröffentlicht, aber ich möchte mich dem Projekt demnächst wieder mehr widmen. Von den online erhältlichen Podcasts gefällt mir zum Beispiel “Ninos autistas chocados por detras”, in dem sich eine Unterhaltung über den Vater eines Freundes, der Andenken an Autounfälle sammelt, mit dem Vortrag eines Fragmentes aus “Crash” von J.G. Ballard mit Roboterstimme vermischt. Die Musik dazu kommt vom französischen Duo Air.
Wann hast du angefangen, Prosa zu schreiben?
Seitdem ich lesen gelernt habe, verschlinge ich Bücher und Kurzgeschichten. Meine ersten Schreibversuche fanden in einer Literaturwerkstatt an der Technischen Universität von Cordoba statt, wo ich Ingenieurwissenschaften studierte. Allerdings fand ich sämtliche Ergebnisse meiner Schreibversuche schrecklich und habe es danach über viele Jahre nicht mehr versucht. In diesen Jahren machte ich Radio, heiratete und schloss das Ingenieurstudium ab und ging anderen nicht allzu konstruktiven Tätigkeiten nach.
Wie kam es zum Entschluss, einen Roman zu schreiben?
Der Auslöser war ein Gefühl, dass ich einige Geschichten mit mir herumtrug und sie einfach herauslassen musste. Da ich die Klagen vieler Schriftsteller gelesen hatte, dass die Verlagshäuser keine Kurzgeschichten wollten, entschloss ich mich dazu, einen Roman zu schreiben. Schreiben ist für mich eine sehr aufwendige und arbeitsintensive Beschäftigung, also wählte ich das Romanformat, um die Chancen auf eine Veröffentlichung zu erhöhen, falls ich das Werk beenden sollte.
Gibt es Autoren, die Einfluss auf dein Schreiben hatten?
Autoren, die mich beeinflusst haben: Albert Camus, J.G. Ballard, William Burroughs, Charles Bukowski, Raymond Carver, Nathanel West.
Ausserdem Kurzgeschichten von Gilbert Sheton, Robert Crumb, Daniel Clowns, Charles Burns, dem argentinischen Duo Muñoz-Sampayo. Hoffentlich haben sie mich in meinem Stil beeinflusst, denn das würde meine Werke unglaublich verbessern! Das ist allerdings nur eine kurze Auswahl. Ich habe viele Dinge gelesen, die mir sehr gefielen, an die ich mich jetzt aber nicht mehr erinnern kann.
Wie hast du es geschafft, einen Roman ohne Schönheit zu schreiben? Hast du alles Schöne nachträglich ausradiert?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Zunächst mal habe ich ja viel mehr Seiten geschrieben als die, die letztendlich für das Buch übrig blieben. Auf jenen Seiten gab es mehr Betonungen, mehr Überlegungen bis hin zu gewissen Wünschen des Aufgebens. Aber als ich erstmal den Stil gefunden hatte, den ich mir für den Roman vorstellte, musste ich jene Teile wieder aus dem Buch herausnehmen, weil sie nicht mit dem gewünschten und passenden Stil vereinbar waren. Schönheit ist ein existentielles Konzept, über das man diskutieren kann, wenn man über das menschliche Wesen spricht. Es wie in diesem Film “I walked with a zombie”, in dem ein Darsteller sagt: “Ihnen kommt das schön vor, weil sie es nicht verstehen: Der Glanz des Wassers ist das Spiegelbild des Mondes auf Millionen von toten Mikroorganismen, die fliegenden Fische springen aus Verzweiflung, weil unter ihnen jemand sie fressen will”.
Der Leser identifiziert sich ungewollt mit Kriminellen und schlechten Menschen. In einem Interview sagtest du, das hätte mit deinem Familienhintergrund zu tun?
Das mit meinem familiären Hintergrund habe ich gesagt, weil mein Vater während der letzten Militärdiktatur ein rangniederer Beamter war. Aber das Konzept, nicht von Schuld oder Moral zu sprechen, ist ein Allgemeines. Das hat mehr damit zu tun, dass es für Gedanken eine Moral gibt und für Taten eine andere. Schuldgefühle sind das Ergebnis der Spannung zwischen diesen beiden Moraltypen. Meine Romanfiguren sind völlig zerstört und denken wenig nach, daher muss man bei ihnen die Moral eher in den Taten suchen. Aus diesem Grund gibt es keine Schuldgefühle, weil die gedankliche Moral nicht vorhanden ist. Oder, um es noch deutlicher zu sagen, es gibt keine Argumente für Heuchelei.
Welche ist die am wenigsten „schlechte“ Person in deinem Buch?
Duarte ist ganz eindeutig die schlechteste Person. Duarte atmet Scheisse, er baut Scheisse und ernährt sich von Scheisse. Er ist derjenige, der mit den Gesetzen der menschlichen Eigenart in Einklang ist. Die anderen beiden sind eher vom Schicksal gebeutelte Persönlichkeiten, sie sind in die Scheisse gefallen und liegengeblieben und sie tun alles menschenmögliche um zu überleben und nicht zu ertrinken. Ich könnte mich nicht zwischen Danielito und Cetari entscheiden, wenn ich die am wenigsten schlechte Person nennen müsste.
Bolaños Konzept des „viszeralen Realismus“ kam mir beim Lesen häufiger in den Sinn. Kanntest du seine Werke?
Ich bin, was Bolaño angeht, nicht so auf dem neuesten Stand. Ich habe nur “Estrella Distante” gelesen. In dem Buch habe ich eindrucksvolle Dinge gefunden, den Aufbau des Foltermeisters und Poeten des Windes fand ich ungemein stark. Kürzlich habe ich mir “El gaucho insufrible” und “El tercer reich” gekauft, allerdings habe ich beide noch nicht gelesen. Welche anderen Bücher von ihm würdest du mir empfehlen?
Natürlich alle. Doch für den Start sollten es vielleicht „Telefongespräche“ und „Die Wilden Detektive“ sein! Wirst du auf der Buchmesse dein Unwesen treiben?
Soweit ich weiss, ist niemand der Versuchung verfallen, mir einen Aufenthalt auf der Buchmesse zu finanzieren. Natürlich würde ich sehr gerne nach Frankfurt kommen, aber ich befürchte, dass während die berühmten Autoren im Oktober bei freier Kost und Logis auf der Frankfurter Buchmesse weilen, ich in Buenos Aires meinem deprimierenden Alltag nachgehen werde. Ausserdem kennt mich so gut wie niemand und Millionen von Büchern habe ich auch nicht verkauft, daher besteht für mich auch keine Anwesenheitspflicht.
Welche deiner Zeitgenossen sollten mehr Aufmerksamkeit bekommen?
Ich lese nicht viel zeitgenössische Literatur. Gut gefallen hat mir “Guan tu fak? = keres cojer?” (Man achte auf das Wortspiel: Want to fuck! Anm. des Übers.) von Alejandro Lopez. Man hat mir ausserdem gesagt, dass sein anderes Buch “La asesina de Lady Di” (Die Mörderin von Lady Di) wunderbar sei. Argentinische Autoren, die meiner Meinung nach viel mehr Anerkennung verdienen, als sie momentan bekommen, sind Elvio E. Gandolfo und Martin Rejtman.
Hast du schon wieder geschrieben, seit du deinen letzten Roman beendet hast?
Nein, aber gerade jetzt beginne ich wieder mit dem Schreiben, aber ganz gemächlich.
Das Interview wurde geführt von Marvin Kleinemeier und übersetzt von Johannes Nitschke. Das Copyright der Bilder liegt bei Leandro Aguirre und Carlos Busqued.
Busqued, Carlos – Unter dieser furchterregenden Sonne. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. 17.90 EUR. 192 Seiten.
Weitere Interviews, Rezensionen und Essays zu Argentinien gibt es unter dem Menüpunkt: ARGENTINIENSCHWERPUNKT
4 Responses to “Ein Gespräch mit Carlos Busqued”
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/live/1125936/Buchmesse-Frankfurt-das-blaue-sofa-LIVE#/beitrag/livevideo/1125936/Buchmesse-Frankfurt-das-blaue-sofa-LIVE
2. Versuch:
http://hstreaming.zdf.de/zdf/300/101001_borchmeyer_asp.mov
@ DER BUECHERBLOGGER Nebenbei gefragt. Warum auf einmal so still? Ich (und andere wohl auch) vermisse Ihre anregenden Beiträge.
Es tut mir selber leid, dass ich mich so lange ausblenden musste. Ich bin dabei, wieder etwas mehr Zeit zu bekommen. Werde mich gerne wieder rühren. Ein bisschen Geduld noch.