Fabián Casas – Interview

„Das Interessante liegt immer in den Kreuzungen!“
Ein Gespräch mit dem argentinischen Autor und Seghers-Preisträger Fabián Casas über literarische Disziplinen, Krieg der Sterne und Spaziergänge auf den Dächern von Berlin. Sein Gedichtband Mitten in der Nacht ist im vergangenen Jahr bei Luxbooks in der von Timo Berger herausgegebenen Reihe luxbooks.latin erschienen. Im August erscheint im Rotbuch Verlag der Erzählband Lob der Trägheit gefolgt von Die Panikveteranen.
Wilde Leser: Du bist einer der eher seltenen Autoren, die sowohl mit ihrer Lyrik als auch mit ihren Prosapublikationen literarische Erfolge verzeichnen. Welche Rolle spielt das für deine Arbeit und hast du irgendeine Präferenz für eine der Disziplinen?
Fabián Casas: Für meine Arbeit ist die Poesie die zentrale Säule, aber ich kümmere mich nicht um Genres. Ich bin ein Mestize, der alles vermischt. Manchmal habe ich da eine kleine Musik im Ohr und das wird dann später, je nach dem Atemzug, den ich gerade nehme, zu Prosa oder zu Versen. Das kann eine Erzählung werden, ein Essay oder ein Gedicht. Auf jeden Fall kann man die Poesie nicht definieren, man erkennt sie ganz einfach. Ich verstehe unter Poesie, mein Leben in einen Zustand des Fragens zu verwandeln und als Schriftsteller gegen meine Kunstfertigkeit anzuarbeiten.
Wilde Leser: Sowohl in deinen Gedichten als auch in deinen Erzählungen lässt sich ein starker Bezug zu Boedo finden, das Viertel in Buenos Aires, in dem du geboren und aufgewachsen bist. Ähnliches gilt auch für andere zeitgenössische argentinische Autoren. Was sind deiner Meinung nach die Hintergründe für diesen starken lokalen Bezug zu bestimmten Stadtvierteln?
Fabián Casas: Ich arbeite immer stark mit Bezug zu meinem Viertel, weil es das ist, was ich kenne, ohne dass damit jetzt eine bestimmte Absicht verbunden wäre. Genauso wie ich Argentinier aus Fatalität bin, aber ich sehe das trotzdem nicht als Motiv, meine Nationalität zu vertiefen, da es etwas ist, was ich bin und vor dem ich nicht fliehen kann. Andererseits verabscheue ich die Nationalhymne, die Symbole des Vaterlands und all diese Dinge, die schon Tausende von Toten auf der Welt verursacht haben. Mein idealer Ort ist die Bar aus „Krieg der Sterne“, wo sich Männer aus der Galaxie Orion mit Schmugglern mit Fischköpfen und Frauen mit drei Titten treffen. Das Interessante liegt immer in den Kreuzungen. Und in der Reinheit ist nur die Scheiße des Faschismus.
Wilde Leser: In deiner Erzählung „Lob der Trägheit“ verbringt der Protagonist Andrés viel Zeit mit dem Lesen verschiedener Autoren wie Céline oder Arlt. Welche Autoren haben dich persönlich geprägt und welche argentinischen Gegenwartsautoren sind deiner Meinung nach besonders lesenswert?
Fabián Casas: Geprägt haben mich zu viele, aber empfehlen kann ich ganz klar Roberto Arlt, Ricardo Zelarayan, Pedro Mairal, Gustavo Ferreyra und Jorge Aulicino.
Wilde Leser: Du bist einer der Leiter des 2003 gegründeten, alternativen argentinischen Verlags Eloisa Cartonera, der Bücher unter Mithilfe von Cartoneros und Arbeitlosen herausgibt. Wie läuft es mit diesem Projekt derzeit?
Fabián Casas: Eloisa Cartonera läuft gut. Der Verlag wurde aus dem Willen geboren, statt rumzuheulen (ich hasse Heulsusen, die glauben, dass ihnen die Welt etwas schuldig ist), etwas anzupacken, um billige Bücher zu machen, die alle lesen können und avantgardistische und populäre Literatur zu veröffentlichen – zwei Begriffe, die einander übrigens nicht ausschließen.
Wilde Leser: 2007 wurde dir der Anna Seghers-Preis verliehen. Obwohl du sehr glücklich über die Ehrung warst, hast du aber auch betont, dich selbst nie für irgendwelche Preise oder Wettbewerbe zu bewerben. Wieso vertrittst du diese Haltung und wie beurteilst du ganz allgemein das System von Literaturpreisen heutzutage?
Fabián Casas: Ich bin enorm dankbar für diese Preise, aber ich nehme sie nicht als Parameter zur Bestätigung von Qualität. Ich glaube, eine Person darf sich nicht zu ernst nehmen, sie muss den inneren Dialog runterfahren und die eigene Wichtigkeit ausschalten. Ich mache jeden Morgen Karate und da bringen sie dir bei, dass du ein ewiger Anfänger bist, etwas, dass sehr gut ist. Danach bin ich gegen gar nichts, jeder soll leben wie er will, von Preisen oder Stipendien oder was auch immer.
Wilde Leser: Wie beurteilst du die Teilnahme Argentiniens als Gastland bei der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr?
Fabián Casas: Sehr gut! Ich fände es klasse, wenn die Buchmesse nicht nur dazu beitrüge, mein eigenes Werk bekannt zu machen, sondern dass von vielen lateinamerikanischen Schriftstellern, die wirklich was drauf haben.
Wilde Leser: Wirst du selbst auch am Start sein?
Fabián Casas: Gerade dann wird meine Tochter auf die Welt kommen und vielleicht klappt es deshalb nicht, aber da schauen wir mal. Ich hoffe, ich kann in Frankfurt dabei sein, und hoffentlich kann ich auch wieder durch die Straßen von Berlin laufen, dieser tödlichen und wunderschönen Stadt, und auf den Dächern spazierengehen!
Das Interview wurde geführt und übersetzt von Benjamin Loy
One Response to “Fabián Casas – Interview”
@ „Und in der Reinheit ist nur die Scheiße des Faschismus.“
vgl. Roberto Bolaño: „2666“ S. 952:
„Dieses Land“, sagte er zu Reiter, der sich womöglich an diesem Nachmittag in Archimboldi verwandelte, „hat versucht, im Namen der Reinheit und des Willens etliche Länder in den Abgrund zu stürzen. Reinheit und Wille, das werde Sie verstehen, sind in meinen Augen reiner Blödsinn. Dank der Reinheit und des Willens haben wir alle – haben Sie gehört? – , wir alle uns in eine Bande von Feiglingen und Totschlägern verwandelt, was beides letztlich dasselbe ist. Jetzt weinen wir und grämen uns und sagen, wir haben nichts gewusst! Wir waren ahnungslos! Die Nazis sind es gewesen! Wir hätten uns nicht so verhalten! Jammern, das können wir. Mitleid und Erbarmen heischen, das können wir. Uns ist es egal, ob man sich über uns lustig macht, wenn man uns nur bedauert und uns verzeiht. Die Zeit wird kommen, wo wir eine lange Brücke des Vergessens einweihen werden. Verstehen Sie, was ich meine?“