Fabián Casas: Zwei Erzählungen
„Lob der Trägheit, gefolgt von Die Panikveteranen“ heißt der Band mit zwei Erzählungen von Fabián Casas, den Timo Berger, der deutsche Hansdampf in allen argentinischen Literatur-Gassen, pünktlich zum Buchmessenauftritt Argentiniens in Frankfurt ins Deutsche übersetzt hat. Der Titel ist bei Casas Programm, zumindest was „Lob der Trägheit“ angeht: Der 21-jährige Ich-Erzähler Andrés Stella schildert seinen trägen Alltag im Buenos Aires der späten Achtziger, den er selbst gegenüber seinem besten Kumpel Roli folgendermaßen resümiert: „Ich höre Musik, hol mir einen runter, esse und scheiße.“ Nebenbei verschlingt er Unmengen an Literatur, schreibt von Zeit zu Zeit selbst, wenn er nicht gerade mit seinen Freunden Roli und Picasso in ihrer Stammkneipe Astral sitzt, und denkt über das seltsame Zusammenleben mit seinem Vater und seinem Bruder, die nach dem Tod der Mutter alle wie auf eigenen Inseln innerhalb des gemeinsamen Hauses leben. Streng genommen passiert auf den fast 90 Seiten der Erzählung nicht allzu viel, abgesehen davon, dass Andrés und Roli irgendwann anfangen, mit Drogen zu dealen, das Ganze jedoch bald wieder einstellen, da ihr Mittelsmann, ein bolivianischer Automechaniker, verhaftet wird. Roli, selbst sein bester Kunde, landet und verstirbt am Ende auf der Intensivstation, Andrés leidet an Hepatitis – Schluss. „Lob der Trägheit“ ist keine Geschichte, die sich durch Ereignishaftigkeit auszeichnet und das ist durchaus gewollt: All die Schwere der Erzählung, der Mangel an Veränderung und Handlung, das Leben an den immer gleichen Plätzen mit den immer gleichen Personen spiegeln die Existenz Andrés‘ wider, die zwischen Rockmusik, Literatur und Drogen monoton dahintropft wie ein leckender Wasserhahn. Sicher hat man solche Erzählungen schon öfters und vielleicht auch besser verfasst gelesen. Dennoch gelingt es Casas, den Leser permanent in seinen Bann zu ziehen, was besonders einem Element geschuldet ist, bei dem der potente Lyriker in ihm durchkommt: seine stark bildhafte und bisweilen ironisch-lakonische Sprache. Wenn es da heißt, die Kaugeräusche aus dem Mund seines Vaters klängen „wie der Soundtrack eines Dokumentarfilms über das Gemeine Hausschwein“ kann man sich ein bittersüßes Lachen trotz der Tristesse am Mittagstisch der dezimierten Familie nicht verkneifen, ebensowenig, wie wenn es über den ums Überleben kämpfenden Freund heißt: „Roli und der Todesfährmann Charon suchten die Entscheidung im Elfmeterschießen.“
Casas finge in seinen Gedichten das Lebensgefühl einer ganzen Generation ein, sagte sein Übersetzer Timo Berger als Juror Casas‘ anlässlich der Verleihung des Anna-Seghers-Preises an den Argentinier im Jahr 2007. Gleiches gilt auch für „Lob der Trägheit“ mit seinen Rundgängen durch das nächtliche Buenos Aires, den Gesprächen im Astral, den endlosen Mittagen in der Hitze des Bonarenser Sommers zwischen Lektüre von Céline und Roberto Arlt und Musik von den Beatles, Led Zeppelin und Luis Spinetta. Oft hat man beim Lesen den Eindruck, es mit einem unscharfen Foto aus einer längst vergangenen und doch immer noch präsenten Zeit zu tun zu haben, die weder melancholisch noch glorifizierend erinnert wird, sondern in einer merkwürdigen Melange aus Ironie und Indifferenz, über der immer die allgegenwärtige Trägheit zu liegen scheint.
Auch in „Die Panikveteranen“ hat es der Leser mit einem Ich-Erzähler namens Andrés zu tun, der als Schriftsteller gewisse Parallelen zu Casas selbst aufweist. Ausgehend von seiner eher prekären aktuellen Existenz, erinnert sich Andrés an seine Familie und das Viertel in Buenos Aires, in dem er (genau wie Casas) geboren und aufgewachsen ist: Boedo, ein Arbeiterviertel im Süden der Stadt. Auf der knapp dreißigseitigen Erzählung entwirft Andrés ein Panorama von den teils recht skurillen Persönlichkeiten seiner Familie und den Orten seiner Kindheit, wobei auch hier wieder Casas‘ schnoddrig-schöne Bildersprache zu voller Entfaltung findet, wenn es beispielsweiße heißt: „Das ging so weit, dass, als mein Papa heiratete, Eusebio sich die Erstbeste schnappte und ebenfalls heiratete. Die Ehe dauerte nicht länger als ein Haiku.“ Ob Eusebio, der Jugendfreund seines Vaters mit angeblich unerschöpflicher Potenz, Gallego Teufel, ein Draufgänger und gerissener Geschäftsmann, oder Tante Inés („Ineschita“), das Sexsymbol des ganzen Viertels – sie alle stehen für ein Panoptikum an Anekdoten, die dank Casas‘ speziellem Stil den Leser permanent zum Lachen bringen; so wenn beispielsweise Tante Lita die notorische Schürzenjägerei von Onkel Raimundo mit Hilfe einer Hexe in den Griff zu bekommen sucht und es heißt: „So versuchte es die Hexe mit einem anderen Trick. Sie bat um eine Unterhose von Raimundo und machte einen Knoten rein. „Der wird nicht mal mehr mit Gottes Hilfe einen hochkriegen“, sagte sie zu Lita. Und es klappte. Doch das Problem war, dass – wie man sich in der Küche von Mama erzählte – er es auch mit Lita nicht mehr brachte. So dass meine Tante am Ende die Hexe bat, den Knoten wieder zu lösen. Dass sie den Rey Mundo, den König der Welt, befreien sollte.“
Wie in „Lob der Trägheit“ gelingt es Casas auch hier, in seinem ganz eigenen Stil ein Stück Vergangenheit als eine Art literarischer Abzug aus einem Familienalbum lebendig werden zu lassen, wobei, es sei noch einmal betont, es vor allem die Sprachkünste des Argentiniers sind, die den Reiz der Erzählungen ausmachen und von Timo Berger in der Übersetzung auch blendend wiedergegeben werden.
Fabián Casas: Lob der Trägheit gefolgt von Die Panikveteranen: Zwei Erzählungen, übersetzt von Timo Berger, erschienen im Rotbuch Verlag, 128 Seiten, Preis 14,95 €.
Hier noch einmal das Interview mit Casas aus unserem argentinischen Monat:
„Das Interessante liegt immer in den Kreuzungen!“
Ein Gespräch mit dem argentinischen Autor und Seghers-Preisträger Fabián Casas über literarische Disziplinen, Krieg der Sterne und Spaziergänge auf den Dächern von Berlin. Sein Gedichtband Mitten in der Nacht ist im vergangenen Jahr bei Luxbooks in der von Timo Berger herausgegebenen Reihe luxbooks.latin erschienen. Im August erscheint im Rotbuch Verlag der Erzählband Lob der Trägheit gefolgt von Die Panikveteranen.
Wilde Leser: Du bist einer der eher seltenen Autoren, die sowohl mit ihrer Lyrik als auch mit ihren Prosapublikationen literarische Erfolge verzeichnen. Welche Rolle spielt das für deine Arbeit und hast du irgendeine Präferenz für eine der Disziplinen?
Fabián Casas: Für meine Arbeit ist die Poesie die zentrale Säule, aber ich kümmere mich nicht um Genres. Ich bin ein Mestize, der alles vermischt. Manchmal habe ich da eine kleine Musik im Ohr und das wird dann später, je nach dem Atemzug, den ich gerade nehme, zu Prosa oder zu Versen. Das kann eine Erzählung werden, ein Essay oder ein Gedicht. Auf jeden Fall kann man die Poesie nicht definieren, man erkennt sie ganz einfach. Ich verstehe unter Poesie, mein Leben in einen Zustand des Fragens zu verwandeln und als Schriftsteller gegen meine Kunstfertigkeit anzuarbeiten.
Wilde Leser: Sowohl in deinen Gedichten als auch in deinen Erzählungen lässt sich ein starker Bezug zu Boedo finden, das Viertel in Buenos Aires, in dem du geboren und aufgewachsen bist. Ähnliches gilt auch für andere zeitgenössische argentinische Autoren. Was sind deiner Meinung nach die Hintergründe für diesen starken lokalen Bezug zu bestimmten Stadtvierteln?
Fabián Casas: Ich arbeite immer stark mit Bezug zu meinem Viertel, weil es das ist, was ich kenne, ohne dass damit jetzt eine bestimmte Absicht verbunden wäre. Genauso wie ich Argentinier aus Fatalität bin, aber ich sehe das trotzdem nicht als Motiv, meine Nationalität zu vertiefen, da es etwas ist, was ich bin und vor dem ich nicht fliehen kann. Andererseits verabscheue ich die Nationalhymne, die Symbole des Vaterlands und all diese Dinge, die schon Tausende von Toten auf der Welt verursacht haben. Mein idealer Ort ist die Bar aus „Krieg der Sterne“, wo sich Männer aus der Galaxie Orion mit Schmugglern mit Fischköpfen und Frauen mit drei Titten treffen. Das Interessante liegt immer in den Kreuzungen. Und in der Reinheit ist nur die Scheiße des Faschismus.
Wilde Leser: In deiner Erzählung „Lob der Trägheit“ verbringt der Protagonist Andrés viel Zeit mit dem Lesen verschiedener Autoren wie Céline oder Arlt. Welche Autoren haben dich persönlich geprägt und welche argentinischen Gegenwartsautoren sind deiner Meinung nach besonders lesenswert?
Fabián Casas: Geprägt haben mich zu viele, aber empfehlen kann ich ganz klar Roberto Arlt, Ricardo Zelarayan, Pedro Mairal, Gustavo Ferreyra und Jorge Aulicino.
Wilde Leser: Du bist einer der Leiter des 2003 gegründeten, alternativen argentinischen Verlags Eloisa Cartonera, der Bücher unter Mithilfe von Cartoneros und Arbeitlosen herausgibt. Wie läuft es mit diesem Projekt derzeit?
Fabián Casas: Eloisa Cartonera läuft gut. Der Verlag wurde aus dem Willen geboren, statt rumzuheulen (ich hasse Heulsusen, die glauben, dass ihnen die Welt etwas schuldig ist), etwas anzupacken, um billige Bücher zu machen, die alle lesen können und avantgardistische und populäre Literatur zu veröffentlichen – zwei Begriffe, die einander übrigens nicht ausschließen.
Wilde Leser: 2007 wurde dir der Anna Seghers-Preis verliehen. Obwohl du sehr glücklich über die Ehrung warst, hast du aber auch betont, dich selbst nie für irgendwelche Preise oder Wettbewerbe zu bewerben. Wieso vertrittst du diese Haltung und wie beurteilst du ganz allgemein das System von Literaturpreisen heutzutage?
Fabián Casas: Ich bin enorm dankbar für diese Preise, aber ich nehme sie nicht als Parameter zur Bestätigung von Qualität. Ich glaube, eine Person darf sich nicht zu ernst nehmen, sie muss den inneren Dialog runterfahren und die eigene Wichtigkeit ausschalten. Ich mache jeden Morgen Karate und da bringen sie dir bei, dass du ein ewiger Anfänger bist, etwas, dass sehr gut ist. Danach bin ich gegen gar nichts, jeder soll leben wie er will, von Preisen oder Stipendien oder was auch immer.
Wilde Leser: Wie beurteilst du die Teilnahme Argentiniens als Gastland bei der Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr?
Fabián Casas: Sehr gut! Ich fände es klasse, wenn die Buchmesse nicht nur dazu beitrüge, mein eigenes Werk bekannt zu machen, sondern dass von vielen lateinamerikanischen Schriftstellern, die wirklich was drauf haben.
Wilde Leser: Wirst du selbst auch am Start sein?
Fabián Casas: Gerade dann wird meine Tochter auf die Welt kommen und vielleicht klappt es deshalb nicht, aber da schauen wir mal. Ich hoffe, ich kann in Frankfurt dabei sein, und hoffentlich kann ich auch wieder durch die Straßen von Berlin laufen, dieser tödlichen und wunderschönen Stadt, und auf den Dächern spazierengehen!
Wer das Interview im spanischen Original lesen möchte: Una entrevista con el autor argentino Fabián Casas sobre disciplinas literarias, La guerra de las galaxias y paseos por los techos de Berlín.
Das Interview wurde geführt und übersetzt von Benjamin Loy
One Response to “Fabián Casas: Zwei Erzählungen”
Dass Fabián Casas so dezidiert wie beiläufig ROBERTO ARLT an die erste Stelle der ihm wichtigen argentinischen Gegenwartsautoren setzt, finde ich auch deshalb gut, weil auf diese Weise deutlich wird, dass vermeintlich Vergangenes durchaus gegenwärtig zu sein, ja gegenwärtig zu bleiben vermag.