Im Schlamm des eigenen Alptraums
Alexandra Bolaño über ihren Vater Roberto:
„Ich sehe ihn noch vor mir, sein von Feuer gezeichnetes Gesicht am Horizont, ein schöner und mutiger Junge, ein lateinamerikanischer Dichter, ein Verlierer, der sich nicht um Geld schert, ein Sohn der Mittelklasse, ein Leser von Rimbaud und Oquendo de Amat, ein Leser von Cardenal und von Nicanor Parra, ein Leser von Enrique Lihn, jemand, der wie verrückt verliebt ist und zwei Jahre später wieder allein dasteht, aber denkt, dass es nicht möglich ist, dass er unmöglich nicht wieder zusammenkommen wird mit ihr, ein Vagabund, ein zerknitterterter, abgegriffener Reisepass und ein Traum, der Grenzen überquert, im Schlamm seines eigenen Alptraums versinkt, ein Saisonarbeiter, ein wilder Heiliger, ein lateinamerikanischer Dichter, fern von den lateinamerikanischen Dichtern, jemand, der vögelt, liebt und angenehme und unangenehme Abenteuer erlebt, sich immer weiter vom Ausgangspunkt entfernt, ein vom Wind gepeitschter Körper, eine Erzählung oder eine Geschichte, die fast alle vergessen haben, ein hartnäckiger Typ, wahrscheinlich mit indianischem, kreolischem und galizischem Blut, eine Statue, die manchmal davon träumt, die Liebe wiederzufinden, in einer unerwarteten, furchtbaren Stunde, ein Leser von Gedichten, ein Fremder in Europa, ein Mann, dem Haar und Zähne ausfallen, der aber den Mut nicht veliert, als ob der Mut etwas wert wäre, als ob er ihm jene fernen Tage von Mexiko wiederbringen könnte, die verlorene Jugend und die Liebe. Gut, sagte er sich, angenommen, ich nehme hin Mexiko und die Jugend zu verlieren, die Liebe aber niemals. Jemand mit einer seltsamen Veranlagung für das Überleben, ein lateinamerikanischer Dichter, der, wenn die Nacht kommt, sich auf seinen Strohsack wirft und träumt, einen wunderbaren Traum, der Länder und Jahre durchquert, einen wunderbaren Traum, der durch Krankheiten und Abwesenheiten zieht.“
D.R. (c) Editorial Candara, teveunam, Erik Haasnoot 2008.
One Response to “Im Schlamm des eigenen Alptraums”
„Jemand mit einer seltsamen Veranlagung für das Überleben“ – das gilt noch über RBs Tod hinaus. Er überlebt in seinen Büchern und in uns Lesern.