Man gewöhnt sich…
Man gewöhnt sich an allem*
Mit der Zeit lässt die Wachsamkeit nach: Mit dieser Erkenntnis erklärt sich Urrutia, wie es dazu kommen konnte, dass einer der Gäste im Keller des Hause von Maria Canales einen gefolterten Gefangenen entdeckt. Und auch jeder Schrecken verliert mit der Routine an Macht. Das Problem mit diesen beiden Weisheiten: Sie widersprechen einander. Denn umso größer die Wachsamkeit, die dazu dient, den Schrecken nicht ins Haus zu lassen, desto schrecklicher ist es dann, wenn er durch die Ritzen doch noch einen Weg ins Innere findet. Bei Urrutia sind die Träume solche Ritzen, die seine lebenslange Verdrängungsarbeit immer wieder zunichte machen. So erscheint ihm im Traum ein toter Priester mit Schluckauf nebst seinem buckligen Falken. Dieser Priester macht ihn auf einen Judasbaum aufmerksam – was Urrutia einen solchen Schreck einjagt, dass er meint, auf der Stelle sterben zu müssen.
Dieser Baum verweist nicht nur auf den Tod des Verräters Judas, sondern auch auf den gleichnamigen Roman von A.J. Cronin. Ein Auszug aus der Inhaltsangabe bei der englischen Wikipedia zeigt, wo die Parallele zu Urrutia zu sehen ist:
In the end, overwhelmed with guilt from a lifetime twisted by selfishness, lust, and treachery, David (die Hauptfigur, T.K.) looks out toward the Judas tree – an unhappy ending is implied.
Der Unterschied ist freilich, dass Urrutias Ende gar nicht mal so unglücklich ist: Er bekommt zuletzt ein Geschenk – ein „Geschenk von Scheiße“ (Lacan). Aber dazu später mehr.
*selbst am Dativ 😉
One Response to “Man gewöhnt sich…”
Einen weiteren hilfreichen Hinweis zum „Judasbaum“ habe ich hier gefunden:
http://www.gutefrage.net/frage/woher-hat-der-judasbaum-seinen-namen