Piñeiro: Donnerstagswitwen
“Die Donnerstagswitwen” erschienen in Argentinien bereits 2005. Mit einiger Verspätung, aber immerhin, erscheint das Buch auch hierzulande. Und der Unionsverlag wäre nicht der Unionsverlag, wenn er das Buch nicht sehr liebevoll und mit einem wunderschönen Cover herausgegeben hätte. Carla Masotta, Lala Urovitch, Teresa Scaglia und Virginia Guevara sind die “Donnerstagswitwen”. Denn jeden Donnerstagabend treffen sich ihre Männer ohne sie, so dass sich die vier Frauen gemeinsam vergnügen, oder auch mal alleine zu Hause bleiben. Die Damen leben mit ihren Ehegatten in Altos de la Cascada, einer Siedlung, die mit einer hohen Mauer vom Rest der Welt abgegrenzt ist und von einem Sicherheitsdienst streng bewacht wird. Außer den Siedlungsbewohnern kommt hier niemand rein, der keine Einladung hat, oder geschäftlich zu tun hat. Das Leben ist dementsprechend überschaubar, man kennt die intimsten Geheimnisse – während manche der offensichtlichsten Dinge verborgen bleiben. Bereits zu auf den ersten Seiten des Buches werden an einem Donnerstagabend drei Leichen in einem Swimmingpool gefunden. Es sind drei der vier Männer, die ihre Frauen “Donnerstagswitwen” nennen. Welch ein makabrer Scherz. Nur Ronie, Virginias Mann, kommt heil aber sehr verängstigt nach Hause. Was ist an diesem Abend passiert? Warum starben die Männer? Hat sie jemand umgebracht? Mit jedem weiteren Satz taucht der Leser tiefer in die kleine reiche Welt von Altos de la Cascada ein und nähert sich der Wahrheit über das Leben in einer geschlossenen Gesellschaft an. Bis schließlich begreifbar wird, was angesichts von Familiensorgen, häuslicher Gewalt, Alkoholkonsum und Drogenproblemen der Kinder, aber auch Wirtschaftskrise und Politik, aus dem Donnerstagstreffen der Männer wirklich geworden ist.
Wer sind wir und was macht unser Leben aus? Diese Fragen stellt man sich nach der Lektüre und Virginia fasst es gut zusammen:
“In meinem Grab werden also eines Tages zwei linsenförmige [Brust]Implantate zu finden sein. Als ob die je zu etwas nütze gewesen wären… In den Gräbern fast all meiner Nachbarinnen werden solche Linsen zu finden sein, nur wenig unterhalb der makellosen Grasnarbe des Privatfriedhofs von Altos de la Cascada. In der lehmigen Erde, neben Knochen, Zähnen und Nägeln.”
Anhand eines kleinen Modells beschreibt Piñeiro gesellschaftskritisch eine Welt, die die unsere ist. All unser Reichtum kann von einem auf den nächsten Tag verloren sein und keine von der Welt noch so abgeschottete Siedlung schützt vor Katastrophen. Schlimm ist es, wenn wir die Außenwelt dermaßen vergessen, dass wir übersehen, in welcher Situation sich Menschen selbst in unserer nächsten Nähe befinden.
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